Interview mit Dr. Christoph Schenkenbach
Herr Dr. Schenkenbach, was sind die häufigsten Schulterverletzungen, die Sie behandeln?
Das sind Oberarmkopfbrüche, Brüche im Schulterbereich und Verletzungen des Schultereckgelenks (Bandverletzungen). Dann gibt es noch Schulterluxationen, die bei jüngeren und vor allem sportlich aktiven Menschen immer wieder vorkommen. Diese werden heutzutage operativ versorgt.
Kann man die Verletzungen in Saisonen und nach Alter einteilen?
Ja, das kann man tatsächlich. Mit Beginn der Fahrradsaison sehen wir häufig Schultereckgelenksprengungen (Tossy 1-3/Rockwood 1-6, Anm. d. Red.: Tossy und Rockwood sind Klassifikationen bei Schultereckgelenksprengungen). Typisch ist eine Verletzung nach einem Sturz vorne übers Mountainbike. Alternativ dazu gibt es Schlüsselbeinbrüche. Die sogenannten subkapitalen Oberarm- und Oberarmkopftrümmerbrüche, Oberarmkopf-Mehrfragmentbrüche finden wir eher bei älteren Menschen, nach häuslichen Stürzen beispielsweise.
Was ist ein klassischer Fall für eine Schulterluxation?
Das wäre beispielsweise die Schulterluxation bei einem Handballspieler, der eine Wurfbewegung machen möchte, ausholt und diese nicht ausführen kann, da er von einem anderen Spieler in der Bewegung geblockt wird. Hierbei kommt es typischerweise zu einer Luxation nach vorne/unten. In letzter Zeit sehen wir bei Kraftsportler*innen auch gelegentlich Luxationen nach hinten, z. B. nach exzessivem Bankdrücken. Hintere Luxationen sind eigentlich selten und treten vor allem bei Epileptikern (im Anfall) auf. Durch die Luxationen kommt es zur Schädigung der Gelenkslippe (Labrum), was eine Instabilität nach sich zieht.
Wie schaut die Erstbehandlung bei Luxationen heutzutage aus?
Die sehr häufig auftretenden vorderen Luxationen werden heutzutage – wenn sie traumatisch bedingt sind – so gut wie nicht mehr konservativ, sondern operativ behandelt. Je jünger der Patient, desto höher ist das Risiko einer wiederkehrenden Luxation – auch nach einer Erstluxation, vor allem, wenn es zu einer Labrumschädigung gekommen ist. Und man weiß, dass es fast zu 100 % zu einer Labrumschädigung kommt.
Ab wann wird bei einer Schultereckgelenksprengung operiert?
Ab einer Grad 3-Läsion: Da kommt es zum Höhertreten des lateralen Klavikulaendes (Schlüsselbeinendes) um mehr als eine Schaftbreite, das bedeutet, dass neben den AC-Gelenkbändern auch die korakoklavikulären Bänder reißen und instabil bleiben. Zwischenzeitlich ist die OP-Indikation bei dieser Verletzung eine relative. Es ist nicht so, dass diese standardmäßig operiert wird. Wir müssen die Patient*innen darüber intensiv aufklären, dass man das auch konservativ behandeln kann. Denn man weiß, dass die funktionellen Ergebnisse einerseits nicht wesentlich besser werden im Vergleich zur konservativen Behandlung und andererseits auch OP-Komplikationen gegeben sind. Anders ist es bei der Rockwood-4-Läsion, diese sollte operiert werden.
Was ist die häufigste Komplikation bei einer derartigen OP und was ist die Ursache?
Es kann ein neuerliches Höhertreten des Klavikulaendes durch gewisse Band- und Materialauslockerungen oder durch Reiben der Metallplatten am Knochen auftreten. Gravierende Komplikationen sind selten.
Was ist die häufigste Komplikation, die durch Physiotherapie auftreten kann?
Meiner Meinung nach ist das Hauptproblem auch hier das Wiederhöhertreten des Schlüsselbeinendes, möglicherweise ist eine zu forsche frühfunktionelle Behandlung mitverantwortlich. Wir finden in dieser Gelenksregion fast eine Dauerbewegung, etwa auch beim Gehen, beim Atmen usw., das heißt, es sind eigentlich stark belastete Regionen, was die eingebrachten Systeme doch deutlich belastet.
Wie lange ist die Rehadauer bei Rockwood-4-Verletzungen, wie lange die Ruhephase, bevor mit Physiotherapie begonnen wird?
Standardmäßig beträgt die Ruhigstellung nach einer Tight-Rope-Refixationsoperation mit einem Gilchrist-Verband drei Wochen, wobei wir nach zwei Wochen mit physiotherapeutischen
Behandlungen aus dem Gilchrist-Verband heraus beginnen und das auch empfehlen. Es gilt eine Abduktionseinschränkung über 90 Grad für sechs Wochen.
Warum?
Weil man davon ausgeht, dass die Vernarbungen im ACG-Gelenk dadurch negativ beeinflusst werden.
Wie schaut generell die weitere Versorgung nach einer Schulter-Erstbehandlung aus?
Physiotherapie im Bereich von Schulterverletzungen ist enorm wichtig. Wir erledigen ja im Prinzip unabhängig von der Art der Verletzung mit der Erstversorgung und Operation lediglich den ersten Teil bei einer Schulterverletzung. Danach sind die physiotherapeutischen Maßnahmen sehr wichtig. Es gibt eigentlich keine Schulterverletzung, die nach einer OP nicht physiotherapeutisch versorgt wird.
Vielen Dank für das Gespräch!